Bei einem Fotoseminar in Hamburg wurde ich von der Seminarleiterin gefragt: „Peter, sag mal, Du hast doch auch Psychologie studiert. Was ist den die Kamera für Dich?“ Im festen nibelungschen Treu und Glauben an die freudsche Psychoanalyse antwortete ich: „Die Kamera ist ein Phallussymbol.“ Ich hatte es kaum ausgesprochen, brach lautes Gelächter aus, vor allem bei den Teilnehmerinnen. Eine der Teilnehmerinnen antwortete herablassend: „ … als ob ich mit meiner Kamera in die Privatsphäre anderer eindringen würde?“ Ich antwortete: „Aha, und warum benutzt Du das Wort Eindringen … und von Privatsphäre war nicht die Rede!“. Wie das so ist bei Fotoseminaren, wenn es geistig etwas anstrengender wird, wird schnell das Thema gewechselt, weil eine ernsthafte Selbstreflexion mit Laien kaum möglich ist. Zur Entlastung der Ungläubigen: Wir saßen im Restaurant der Hamburger Kunsthalle und hatten uns kurz vorher von Nan Goldin die aus 720 Dias bestehende wuchtige Installation „The Ballad of Sexual Dependency“ angesehen. Nicht die beste Voraussetzung für eine unvoreingenommene Diskussion. Die meisten Teilnehmer*innen und vermutlich auch die Seminarleiterin hatten wohl zum ersten Mal Kontakt mit „richtiger“ Fotografie.
Meine Kamera, ein Prachtexemplar eines Phallussymbols. Eine Canon 5 D Mark IV mit 30 Megapixel Auflösung. Mit dem erweiterten Batteriegriff liegt sie fest in meiner Hand. Wenn ich das 70-200 mm f2.8 Telezoomobjektiv mitnehme, sage ich: „Heute nehme ich das Tele mit …“ und deute mit beiden Händen die Größe an, um mir selbst meine Potenz in Sachen Fotografie zu versichern. Was auch immer ich damit kompensieren muss, es funktioniert! Freud hätte seine wahre Freude an mir.
Nicht umsonst gibt es Fachjournalisten, die sagen, dass ihnen das Pixelgewichse auf den Sack geht. Noch deutlicher kann man es gar nicht ausdrücken. Aber hey, 30 MP Auflösung. Allerdings wenn ich mit meiner Kamera neben einer Sony stehe, fühle ich mich, als hätte ich gerade kalt geduscht und wäre auf das wesentliche zusammengeschrumpft. Eine Sony hat mindestens 40 MP und die neue Sony Alpha 7 R IV sogar 60 MP. Einen Nachteil hat die Sony allerdings, sie ist deutlich kleiner und sieht eher aus wie eine Spielzeugkamera. Sie ist der Zwerg unter den Phallussymbolen.
Im Fotografiestudium hatte ich nur eine Canon 7 D mit einem kleineren APS-Sensor als alle anderen. Mitleidig wurde ich trotzdem über all mit hingenommen, gehörte aber nie richtig dazu. Oft stellte ich mir still die Frage: „Du hast so eine geile Kamera mit super Objektiven, warum machst Du so scheiß Fotos?“ So zog sich das durchs gesamte Studium und mehrere Seminare. Mit Abschluss des Studiums kaufte ich mir meine erste Vollformatkamera und fühlte mich so Erwachsen, das war besser als Rauchen, Saufen und Auto fahren. Leider kann ich nicht mit den typischen Vater-Sohn/Tochter-Geschichten aufwarten. Meine erste Leica bekam ich von meinem Vater im Alter von neun Jahren geschenkt. Bei uns galt das Dr. Faustsche Motto: „Der Künstler ist der Bruder des Verbrechens und des Verrückten.“ Aus dem Jungen sollte was Vernünftiges werden.
Es soll ja Fotografen geben, die behaupten, nicht die Kamera macht das Bild, sondern der Fotograf. Es wäre also egal welche Kamera du verwendest. Dann fuchteln sie mit einer x-beliebigen Knipse herum, die sie sorgfältig für diesen einen singulären Moment vorbereitet aus einer Hemdtasche oder Rucksack gezogen haben. Die Seminarteilnehmer*innen sind dann total verzückt und sagen sich wahrscheinlich, der ist so genial. Ich denke mir: „Du blödes Arschloch, wenn Du damit zum Kunden gehts, lacht der Dich einfach nur aus und schickt Dich ohne Honorar wieder nach Hause. Warum heuchelst Du hier ein Understatement vor, das Du selbst nie bedienen würdest?“ Oder um mal bei Sigmund Freud zu bleiben: Nehmt Euch in acht vor Männern, die ihren Schwanz kleinreden, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Wie groß muss ein Ego sein, um es bagatellisieren zu müssen.
Heute, nach 15 Ausstellungen, etlichen Vorträgen und Veröffentlichungen und eigener Seminarerfahrung weiß ich: Geile Kamera macht geile Bilder. Basta!
Die kleine Tochter eines Schulfreundes sagte mal zu mir, ich soll mir doch einen Job auf dem Bau suchen, wenn ich nicht genug Geld hätte. Eine kleine Wohnung in Berlin und kein Auto waren also wenig Geld; Kinder plappern einfach nur das nach, was deren Eltern über mich denken. Ich erklärte ihr gelassen meinen Beruf. Ich bin ein halbes Jahr mit der Kamera und dem Fahrrad, zu Fuß oder mit dem Rucksack unterwegs und mache ganz tolle Fotos. Zurück in Deutschland halte ich Vorträge mit meinen Fotos über das, was ich das letzte halbe Jahr gemacht habe. Also tolle Leute kennengelernt, Wale-Watching in Norwegen, Beach Parties am Strand von Tel Aviv, Street Photography in den Hauptstädten, mit dem Fahrrad durch die Wüste usw. Gezeigt habe ich ihr einige Bildern auf meinem Handy. Man wird dadurch nicht Reich, aber sehr zufrieden. Dass ihr verbeamteter Vater (jetzt hätte ich beinahe verblödeter geschrieben – eine typische Freudsche Fehlleistung) im öffentlichen Dienst das ganze Jahr „schufften“ muss, hat sie sofort kapiert. „Toll, das will ich auch machen … Papa, wie viel kostet eigentlich Deine Kamera?“ So verdirbt man die Kinder anderer Leute!