Ab wann ist Fotografie Kunst?

Die Frage ist Fotografie überhaupt Kunst, beschäftigt die Kunstwelt schon seit Jahrzehnten. Pierre Bourdieu hat Fotografie noch als „illegitime Kunst“ bezeichnet, die einfache technische Reproduzierbarkeit macht die Interpretation auch nicht einfacher und die Handybilderflut macht uns Fotografen das Leben schwer.

In dem Fotomagazin PHOTOGRAFIE 05/2017 gibt es ein Interview mit der Geschäftsführerin Patrizia Schaivi der Onlinegalerie „The Art of Wild“. Sie hat 16 Kriterien für künstlerische Fotografie definiert. Beim ersten Lesen dachte ich: „Wow, das hat mir schon immer (in Kursen, Workshops und im Fotografie Studium) gefehlt. Das nehme ich in meine Workshops auf!“ Beim zweiten lesen dachte ich: „Na ja, das sehe ich anders …“ und als ich dann ein Chart für meine Workshops (ein drittes mal gelesen) daraus machen wollte dachte ich: „Was für ein banaler Quark!“. Beispiel: „8. Eine Kunstfotografie ist mit Stilkriterien zu beschreiben.“ Grundsätzlich ist jedes Bild von der Höhlenmalerei bis hin zu Gurskys „Rhein II“ mit Stilkriterien zu beschreiben. Oder noch besser: „8. Eine Kunstfotografie hat einen emotionalen Gehalt.“ Jedes Bild hat einen emotionalen Gehalt. Sonst würden wir nicht fotografieren.

Die Bilder waren auch eher naja, man muss sie halt mögen. Eigentlich kann sie jeder machen, der mit einem ND-Filter umgehen kann, ein gutes Equipment hat und ausreichend Geld zum Reisen hat, d. h. „Du musst da sein.“ (was dann auch gleich die limitierenden Faktoren sind). Jetzt war natürlich nicht alles Quark, deshalb habe ich einige Punkte in diesem Blogbeitrag übernommen, andere „verbessert“ bzw. interpretiert und einiges hinzugefügt. Denn die Frage, ab wann ist Fotografie eigentlich Kunst, ist spannender als je zuvor.

  1. Der Fotograf muss sich selbst als Künstler verstehen. Es geht um seinen individuellen Zugang zur Welt. Seine Sicht der Dinge ist Bildbestandteil. Das Selbstverständnis des Fotografen „spiegelt“ sich in den Bildern wieder.
  1. Der Künstler muss die vollständige Kontrolle über den gesamten kreativen Prozess und das endgültige Ergebnis haben. Nur so lässt sich die künstlerische Autorenschaft sicherstellen. Entscheidender Punkt ist die vollständige Kontrolle. Das heißt nicht, dass Du alles selber machen musst, wenn Du Hilfe brauchst (z. B. bei Photoshop), hol‘ sie Dir, wenn Du Inspiration brauchst such‘ sie Dir (meist bei anderen Künstlern, z. B. bei Pinterest). Und manchmal ist es besser, wenn Du (das Projekt) einfach mal los lässt.
  1. Ein Foto, eine Fotoserie wird mit dem Ziel gemacht, ein Kunstwerk zu erschaffen. Einfach drauflos knipsen, im Drugstore entwickeln lassen und feststellen „sieht doch aus wie …“ geht garantiert schief und bietet kaum künstlerischen Inhalt. Was tun? Weitermachen, gezielter fotografieren, ein Konzept erstellen, eine eigene Bildsprache entwickeln. Eat – sleep – shoot – repeat. Dann klappt’s auch mit der Kunst.
  1. Zu tun, was alle tun, ist das Gegenteil von künstlerischem Handeln, kreativen Prozess und letztendlich auch das absolute Gegenteil von Erfolg. Das x-te Foto mit ND-Filter vom verträumten Strand ist einfach nur noch ein Foto und noch ein Foto und noch ein Foto …
  1. Kunstfotografie ist auch Dokumentation. Die Grenze ist leider sehr schmal. Nicht jede Dokumentation ist automatisch Kunst. Entscheidend ist hier die Individualität des Fotografen beim Prozess. Gemeint ist, wie weit kann er sich zurück nehmen, wie hoch ist sein Grad an Intervention und wie wird damit die Authentizität der Bilder beeinflusst. Eine gute (künstlerische) Dokumentation durch eine hohe Intervention des Fotografen ist selbstverständlich authentisch, da es um den Fotografen geht (siehe auch Punkt eins und zwei).
  1. Die Komposition eines Fotos bzw. einer Serie ist komplex, narrativ und anspruchsvoll. Das ermöglicht den (öffentlichen) Diskurs, die (Fremd-) Interpretation und gibt dem Bild eine metaphorische und emotionale Ebene der Bedeutung. Also doch …

Exkurs Text und Bild: Ist das jetzt der berühmte Satz: „Die Bilder müssen für sich sprechen!“ Naja, irgendwie schon. Ich bin ein großer Verfechter davon, dass Text und Bild gleichberechtigt sind (z. B. in einem Museum auf dem Werklabel). Text darf allerdings, das Bild nicht beschreiben aber er darf eine Interpretationhilfe sein.

  1. Sujet plus Medium plus Form plus Kontext ist gleich Inhalt.

Hört sich nach einer tollen Weltformel für den garantierten Erfolg an und stimmt im Wesentlichen auch. Aber! Es beantwortet leider nicht folgende Fragen: Wie komme ich vom Inhalt zur Form? oder Kann ich auch von der Form zum Inhalt kommen? Oft sehen Künstler Bilder und sagen zu sich: „Das würde ich auch gerne mal machen … das kann ich kann ich auch … hey, das funktioniert, das mach‘ ich jetzt!“

Wie komme ich vom Inhalt zur Form oder von der Form zum Inhalt?

Was sehen sie? Sehen sie den Inhalt, sehen sie die Form? Bringen sie beides überein, ist es lediglich ein Plagiat. Sehen sie aber die Form, z. B. eine besondere Form der Collage und „passen ihren individuellen Inhalt (einfach) an“, stimmt die o. g. Formel nicht mehr. Trotzdem entsteht daraus geniale Kunst. Leider ist unser verschultes (kunstwissenschaftliches) Denken, der Künstler hat gefälligst vom Inhalt zur Form zu kommen, eher hinderlich, um kreative Prozesse angemessen zu begleiten bzw. sie objektiv zu interpretieren und vor allem sie zu kritisieren. Bewertung (in der Öffentlichkeit) findet oft nach genau dieser Formel statt. Old School aber absolut nicht mehr zeitgemäß.

  1. Künstlerisches Handeln hat einen roten Faden. Ja, aber Gerhard Richter erfindet sich doch auch immer wieder ganz neu. Ja, aber Gerhard Richter ist es völlig wurscht ob er mit übermalten Fotos, bunten Karos oder Glasskulpturen Millionen macht. Vergleiche Dich niemals mit anderen. Wenn bei Deiner Vernissage jemand zu Dir sagt: „Das erinnert mich an Casper David Friedrich …“ mag das erstmal nett gemeint sein. Größer ist jedoch die Wahrscheinlichkeit, dass er keine Ahnung hat oder Du etwas falsch machst. Roter Faden bedeutet, Du musst Individualität zeigen und zwar über das Maß hinaus. Konsequenz in Form und Inhalt (siehe Formel unter Punkt sieben). Das Sujet (!) darf sich ändern, übrigens hat es Gerhard Richter genau so gemacht … also doch kein Zufall mit den Millionen!
  1. Qualität statt Quantität, was die Anzahl der freigegebenen Bilder angeht. Richtig und Falsch zugleich. Der Kunstmarkt definiert die Limitierung, also die Beschränkung der Quantität als Qualität. Tja, ist halt so. Das ist der Wunsch nach Einmaligkeit, nach Exklusivität man könnte auch sagen Schnäppchenmentalität. Aber es ist definitv kein Kriterium für Qualität. Andy Warhol, Richard Prince, Jonathan Messe und viele andere bewiesen bzw. beweisen uns heute noch das genaue Gegenteil. Trotzdem, gerade weil die technische Reproduzierbarkeit von digitaler Fotografie so leicht ist, ist diese Regel unumstößlich. Um ernst genommen zu werden ist ein fairer Umgang mit Kunden, Galerien und Kuratoren in diesem Punkt absolute Vertrauenssache und nicht interpretierbar.

Fazit: Kunst macht Spaß, aber verdammt viel Arbeit. (Karl Valentin)

Wie geht es weiter? Mein nächster Blogbeitrag beschäftigt sich mit der Frage, wie Du als Fotograf bzw. Fotografin mehr Kunst (in Deinem Alltag) machen kannst.

You only live once. Rock it!

Peter Kagerer

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